Hintergrund

Die Zeit ist reif für das neue Medium „Film“

Die Entstehung des Films schien historisch fällig gewesen zu sein: In verschiedensten Ländern Europas sowie Amerika versuchten sich Erfinder an der Herstellung einer Filmkamera: Ottomar Anschütz (1886/87) in Deutschland, William Friese-Greene (1889/90) in England, Thomas Alpha Edison (1893) in Amerika sowie die Brüder Lumière (1895) in Frankreich.

Somit erscheint der Film, abgesehen von den hierzu notwendigen technischen Erfindungen, als die Antwort auf ein bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts vollzogen sich enorme gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung sowie erhöhten Erträgen aus der Landwirtschaft explodierte die Bevölkerung in Deutschland zwischen 1780 und 1910 von 21 Millionen auf 64 Millionen.[1]

In der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts begann in England die industrielle Revolution und setzte sich sodann auf dem europäischen Kontinent fort. Eine Vielzahl von technischen Neuerungen sowie die Bauernbefreiung veränderten die Lebensumstände enorm. Die Lohnarbeit wurde zur überwiegenden Erwerbsform.

Der Kern der Industrialisierung war der Übergang von Handwerk zu maschineller Herstellung. Vorreiter hierzu war das Textilgewebe, welches mit der Erfindung der Spinnmaschine (1769) zu einer erheblichen Produktionssteigerung gelangen konnte.[2]

Begünstigt wurde die industrielle Entwicklung durch den Wegfall der Binnenzölle (1834) sowie den Ausbau des Eisenbahnnetzes. Die Eisenbahn ermöglichte den nach der Bauernbefreiung nunmehr frei ihren Wohnsitz bestimmen könnenden Bauern eine Abwanderung zu den neuen industriellen Standorten. Um Arbeit zu bekommen, zog ein Großteil der Landbevölkerung mit samt Hab und Gut in die Nähe der Fabriken. Der vormals selbstständige Handwerker wurde nun zum anweisungsausführenden Maschinenbediener. Der Produktionsprozess wurde durch Arbeitszerlegung in verschiedene Teilprozesse von spezialisierten Arbeitskräften durchgeführt.

Dies führte nach Marx zu einer Entfremdung der Menschen von sich selbst: Der Arbeiter war nicht mehr schöpferisch tätig und auch nicht mehr Eigentümer des durch ihn hergestellten Produkts. Durch die eintönig spezialisierte Tätigkeit wurde der Fabrikarbeiter zu einem Rädchen in der Gesamtmaschinerie. Der Verlust der Einbindung in die Großfamilien der traditionellen Ständegesellschaften sowie die Anonymisierung der Fabrikarbeit führte insgesamt zu einem Verlust an Kontexten. Dies und die wachsende Orientierungslosigkeit erhöhten den Bedarf an Zerstreuung und Unterhaltung. So diente das neue Medium Film als Kompensation einer entfremdeten Industriearbeit.[3]

„Von Anfang an bot das Kino Träume, Romantik und ermöglichte die Flucht aus dem Alltag. Es war der fliegende Teppich, der Millionen von Menschen rund um den Globus entführte.“[4]

Nach der literarischen Medienkultur des 19. Jahrhunderts strebten die Menschen nach Visualisierung und Anschaulichkeit. Auch die Printmedien dieser Zeit begannen ihre Produkte zu bebildern. Der Film kombinierte einzelne Funktionen der bereits existierenden Medien. Vom Theater übernahm er die szenische Live-Inszenierung, von der Fotografie die authentische Widerspiegelung der Realität und vom Erzähler das Erzählen fiktionaler Geschichten.

Der Film bot den Arbeitern eine Möglichkeit zur Flucht in die Illusion und damit einen Tausch der tristen Realität, wenn auch zeitlich begrenzt.[5]


[1] www.lsg.musin.de

[2] www.bpb.de

[3] Faulstich, Werner – Filmgeschichte

[4] Bergen, Ronald – Film

[5] Faulstich, Werner – Filmgeschichte

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